Auszug aus meinem Essay
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- Ãœber das Entstehen einer autonomen, digitalen Musik -
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Sich musikalisch vom Einheitsbrei der aktuellen Musikkulturen abzusetzten, könnte eine Motivation sein, die das Musikmachen befeuert, solche Tendenzen gab und gibt es nicht nur im Pop, sondern auch in Jazz und Klassik. Es rumort an vielen Orten der Musik. In der Popmusik kann dies z.B. bei Björk deutlich werden, in der Klassik bei der diesjährigen Siemenspreistägerin Olga Neuwirth. Für jemanden, den Musik als intellektuelle Herausforderung nicht interessiert, ist dieser Artikel kaum zugänglich, wer jedoch Entwicklungen spannend findet, auch und besonders in der Musik, mag über die hier niedergelegte persönliche Perspektive zumindest nachdenken. Den Ehrgeiz, eine Schule zu gründen, hab ich freilich nicht. Mehr als eine Inspiration möchte ich nicht geben.
Vom Jazz lernen
‚Neue Musik‘ war derart zerrüttet bzw. ins vermeintliche Jenseits abgedriftet (z.B. Beat Furrer, Orpheus' Bücher), dass sie nicht einmal von Satan – als logisch mögliche Engelsfigur – erreichbar wäre. Zwar gibt es nicht uninteressante Konstruktionen, die z.B. auf Melodieentwicklungen verzichten, doch genau diese klingen zwar tabugerecht doch (auch für mich) zu abgehoben.
Falls ein Interesse im pragmatisch zwölftönigen Raum an Melodieentwicklungen bestünde, zudem an menschlich musikalischem Ausdruck, wäre man aktuell darauf angewiesen, vom Jazz zu lernen. Dort scheint es noch irdisches Leben zu geben! In der jüngeren Vergangenheit wurde Jazz durch ‚Neue Musik‘ beeinflusst, nun könnte Umgekehrtes geschehen. Weil allerdings der zwölftönige Raum bzw. Abwandlungen davon, auch reduktive, im Jazz keineswegs selbstverständlich sind, könnte ein Lernen ziemlich abstrakt ausfallen.
Als mögliches Resultat wäre ein Third Way (bzw. Third Stream*) denkbar. – Aber auch eine solche Bestrebung wäre im Rückblick zwar selten, der Lautgestalt nach jedoch keineswegs neu. Neu könnten konkrete musikalische Antworten sein, damit auch der Bezug eines neuen Wortes ‚Third Stream‘.
*Gunther Schuller
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Skalen
Um einen Third Stream ebnen zu können, würde es nicht ausreichen, unterschiedliche Traditionen wie Jazz und Neue Musik einfach nebeneinander zu stellen bzw. miteinander zu verknüpfen. Die Vorgehensweise bliebe ohne sachlichen Zusammenhang. Stattdessen wäre der Weg nicht nur sprachlich, sondern auch musikalisch neu zu erfinden. Es ginge um eine ganz andere Musik, die im Rahmen bisheriger Traditionen nicht Jazz und nicht Neue Musik wäre. Aber wie ließe sich ein solcher Weg ‚anlegen‘?
Der vielleicht einfachste Weg könnte über den Ausweis alternativer Skalen führen. Die westliche Musiktradtion begann, soweit sie bekannt ist, mit alt-giechischen Skalen, die durch das Mittelalter als Kirchentonarten bzw. Modi überliefert wurden. Es wären andere Skalen zu entwickeln, die nicht überliefert sind. Die erhältliche neue Basis wäre ebenfalls pragmatisch ausgewählt, falls es sich um eine Auswahl aus dem von Menschen hörbaren Spektrum handeln würde und um die zeitgenössische orchestrale Stimmung der Instrumente. Sie könnten dem 12-Tonraum angehören, auch falls es sich um eine geringere Auswahl handelte. Einer möglichen tonalen Interpretation wäre durch die Auswahl vorzubeugen. Eine Erweiterung des Tonvorrats könnte durch die Verwendung von Multi-Skalen Eingang finden.
Das klingt nach einem ausgefuchsten Plan. Tatsächlich hat es sich mir völlig anders entwickelt. Mehr als eine einfache Intuition, die mich bei einem ‚Acid-Jazz‘-Projekt (2012 (EP) veröffentlicht) überkam, gab es zunächst nicht. Aber ich hangelte mich weiter, von Projekt zu Projekt, wie ein echter Menschenaffe, von alternativer Club-Musik, bis hin zu ungewöhnlicher Kammermusik.
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Modi oder Multiskalen
Musikalisch weniger interessant, sind die von Olivier Messiaen präsentierten und erläuterten Modi. Als mathematisch vollständig galten sie lange, bis John Schuster-Craig einen achten Modus fand. Doch weshalb kam Messiaen auf die Idee, die Mathematik einzubeziehen, um lediglich eine relative Gleichförmigkeit der Intervalle auf Basis der Zwölfton-Chromatik zu entwickeln?
Ich nehme von diesen Modi Abstand, weil ich mit der verwendeten ‚Rationalität‘ nichts anzufangen weiß, keinen Grund finde, musikalisch, ästhetisch als auch mathematisch, generell Abstand von Modi, die nur als Einschränkungen fungieren können.
Multiskalen zu verwenden, halte ich für eine angemessenere praktische Lösung. Mit ihnen lässt sich der Tonraum beliebig erweitern, bis hin zur Möglichkeit, alle zwölf Töne kompositorisch zu verwenden. Darüberhinaus lassen sich, je nach Instrument, auch in der herkömmlichen orchestralen Stimmung, Zwischentöne erzeugen, die außerhalb jener Skalen liegen. Solange ihnen lediglich Ausdruckswerte zukommen, wäre eine Erweiterung des pragmatischen Zwölftonraums nicht erforderlich.
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Analog oder digital?
Die technische Entwicklung macht inzwischen ein analoges Musizieren, wie es von Menschen seit sehr langer Zeit ausgeübt wird, unnötig. Digitale Instrumente lassen sich von Komponisten einsetzen, sogar Orchester. Zwar ist es nicht leicht, sich auf dem Markt zu orientieren, zudem sind die integrierten Spielweisen eventuell noch zu begrenzt, vor allem wenn man primär ‚Plug Ins‘ berücksichtigt, die zur Vertonung von Filmmusik geschaffen wurden, doch der Instrumentenmarkt ist in Bewegung. Eine 24 Bit-Breite gehört heute zum Standard.
Mir reichen kleine Besetzungen aus, Ensembles, deshalb fällt es mir leichter, passende ‚Plug Ins‘ zu wählen, um moderne Spielweisen (‚Artikulationen’) erhalten zu können. Mein musikalischer Arbeitsplatz ist nunmehr ein Rechner.
Die erforderliche Aufgabe reicht weit über ein Komponieren hinaus. Audios der Stücke können sofort entstehen, sogar inklusive Mastering. In diesem digitalen Umfeld bin ich auch mein eigener Toningenieur. Zentral in diesem Umfeld sind die DAW, die ‚Digital Audio Workstation‘ und das separate ‚Audio Interface‘. Die Musikstücke entstehen direkt als ‚Audio File‘, letztlich, eingedenk möglicher Konsumenten, in 16 Bit-Breite.
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â—Š Hofa-Contest 2021: One-Day-Stand 3
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â—Š Hofa-Contest 2022: Duet
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Fazit
Wichtig war mit, zu demonstrieren, dass Neuentwicklungen auf Basis der Tradition durchaus möglich sind, solange das Adjektiv ‚neu‘ nicht moralisch bzw. religiös mittels Tabus erläutert wird. Eine Erweiterung des Tonraums reicht eventuell aus, um als neu gelten zu können, in Abhängigkeit davon, was in diesem Raum geschieht. Zwei Audiobeispiele finden sich unter dem Text verlinkt, auch Kommentare dazu, ein Gewinner in dem Wettbewerb war ich freilich nicht, dazu klang die Musik den Betreibern und Teilnehmern wohl zu fremd. Die Kommentare waren dennoch erstaunlich.
Doch ‚Neue Musik‘ als Ersatzreligion zu produzieren, liegt mir fern, einen ‚Third Stream‘ bzw. ‚Third Way‘ finde ich viel spannender, weil die möglichen Einflüsse rasant zunehmen.
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